Hätte Luther denn

22 ALSTER-MAGAZIN NR. 06 2017 ALSTER MAGAZIN L O C A L P E O P L E Kein rational- denkender Mensch kann 2017 Luther als Wegbereiter unserer modernen Gesellschaft verehren. untertan der Obrigkeit die Gewalt über ihn hat denn jede Obrigkeit kommt von Gott. Von solcher Obrigkeit waren für Luther ausschließlich die Fürsten. Seine Schlussfolgerung nach der brutalen Niederschla- gung des Bauernaufstandes: Auch in der Bibel gäbe es Sklaven. Gott hätte Sklaven nicht verboten. Deshalb hätten die leibeigenen Bauern gegenüber den Fürsten kein christliches Recht auf weltliche Freiheit. Wenn der Mensch hier auf Erden leidet, hat er das als gerechte Strafe Gottes zu erdulden. Wer sich hier in seinem Leben zu sehr um sein weltliches Wohlergehen kümmert, der wird sein ewiges Seelenheil im Himmel verlieren. Der Vorwurf an Luther im Bauernaufstand ist, dass er nicht auf die realen Probleme der Bauern, speziell ihre elenden Lebensverhältnisse, eingegangen ist. Als christlicher Reformator hätte er mit sachgerechten Kompromissvorschlägen versuchen müssen, zwischen den Parteien mit allen Kräften Frieden zu stiften. Stattdessen hat er irrational religiös Partei ergriffen und so den Kampf geradezu herausgefordert. Von Luther her hat die Kirche immer gegen die Arbeiterschaft gestanden, spe- ziell seit Bismarck bis hinein in die Lohn- und Mitbestimmungskämpfe nach dem 2. Weltkrieg. Und die Arbeiterschaft, gerade auch in Hamburg, stand immer gegen die Kirche. Hätte Luther denn damals eine echte Chance gehabt, die politischen Verhält- nisse im Sinne einer souveränen Obrig- keit des Volkes zu verändern? Das ist eine heiße Frage, die so schon vor 40 Jahren gestellt worden ist. Der renommierte Hamburger Historiker Gerhard Ritter behaup- tete, die Zeit für eine derartige politische Veränderung sei damals noch nicht reif gewesen. Ich habe das damals schon anders gesehen: Luthers Schutzpatron, der auf den Reichstagen einflussreiche Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, hat auf seinem Sterbebett kurz vor Ausbruch des Bauernaufstandes gesagt: Wenn Gott will, dass das Volk herrscht, dann müssen wir das akzeptieren. Das zeigt: Der Kurfürst wusste, was mit dem Bauernaufstand auf dem Spiel stand. Auch die Fürsten, auch die Ritter wussten das. Und auch Luther. Hatte Luther denn sonst politische Berater? Doch, doch, ausreichend! Nur die falschen! Darüber hinaus war Luther ein absolut beratungsresistenter Mensch, von unbeugsamer Autorität, absolutistisch in seinem Selbstanspruch. Mit solus deus - allein Gott, und sola scriptura - allein die Bibel (beides nur so gültig in Luthers persönlicher Auslegung!) sicherte er sich den Status eines unfehlba- ren Ex-cathedra-Theologen. Von daher hat er alle Andersglaubenden, Andersdenkenden gnadenlos verdammt, allen voran den Papst, den er in unglaublicher Überheblichkeit mit dem schwersten theologischen Schimpfwort Antichrist belegt hat. Luther war ein Hasser. Er hat nicht nur die Bauern platt gemacht. Ähnlich gehässig ist er mit den Tür- ken verfahren. Unerträglich hat er die Juden beschimpft und sie mit krankhafter Wut in die Hölle verdammt. Kein rational-denkender, kein säkular-demokratischer, kein freiheitlich-humanistischer Mensch kann 2017 Luther als Wegbereiter unserer modernen Gesellschaft verehren. Es heißt, der Augsburger Religionsfriede habe 1555 endlich zu stabilen Zuständen und Religionsfreiheit geführt Dies ist so eine fatale Kirchenlüge, dass der Augsburger Friede die Religionsfreiheit des Volkes geschaffen hätte und damit die Basis der modernen weltlichen Gesellschaft. Fakt ist dagegen etwas völlig anderes: Die Friedensformel hieß auf den Punkt gebracht cuius regio, eius reli- gio wes Reich, des Religion. Das bedeutete knallhart: Wem das Reich gehört, nämlich dem Fürsten, dessen Konfession gilt für sein ganzes Volk. War ein Fürst, der Landesherr, katholisch - musste das Volk katholisch sein. War er evangelisch, mussten alle evangelisch sein. Jeder musste die Religion seines Fürsten annehmen. Zwangsweise. Bei Widerstand mit tödlicher Gewalt. Andersgläubigen blieb außer Tod nur die Flucht aus der Heimat. Folge dieses politischen Modells waren die Hugenottenkriege und vor allem der Dreißigjährige Krieg, der vor allem in Deutschland wütete. Was bedeutete diese Fürstenherrschaft, speziell für die Protestantische Kirche Luthers in Deutschland? Der deutsche Protestantismus geriet in immer stärkere Abhängigkeit vom landesherrlichen Kirchenregiment der Fürsten. Der Fürst war politische und religionsbestimmende Obrigkeit, die Kirche ihr Untertan. Seine Landeskirche war praktisch eine Staatskirche im Kleinformat. Typisch für diese Obrigkeitskirche waren Berlin und das expandierende Preußen unter dem Fürstengeschlecht der Hohenzollern, seit 1701 preußische Köni- ge, seit 1871 preußisch-deutsche Kaiser. Unter ihrem Befehl entstand durch einen Zusammenschluss der protestantischen Konfessionen die preußische Unionskirche: Ein König, ein Volk, eine Kirche, völkisch deutsch! Entsprechend treu- deutsch stand diese Kirche in allen Belan- gen fest zu ihrer deutschen Obrigkeit. Das bedeutete für die Kirche: Sie war voll mitverantwortlich für alle Kriege und Konfliktkrisen, die ihre Staatsführung geführt hat, sie war voll mitverantwortlich für die Staatsverfolgungen und Unterdrückung der Volks-und Freiheits- bewegungen und sie war voll mitverantwortlich für alle politischen Entscheidungen, die der Staat materiell und ideell zu Ungunsten des Volkes beschlossen hat. Damit sind die Verfehlungen des Protestantismus während der Zeit des Nationalsozialismus weniger verwunderlich In der Tat. Nachdem Hitler am 30. Januar 1933 an die Macht kam, hat ihm die protestantische Kirche jubelnd die Türen geöffnet: Am 21. März 1933 hat sie Hitler in der traditionsreichen preußischen Garnisonskirche Christian Luscher, stellvertretender Chefredakteur des Alster Magazins, sprach mit Dr. Paul Schulz über die Problematik mit der Lutherverehrung.