Sache Sinne Lebensraum

MAGAZIN 14 ALSTER-MAGAZIN NR. 10 2018 ALSTER Im Sinne der Sache Wenn der Bundeskanzler rund sechs Millionen Juden nach Deutschland einlädt, kann dies ungeahnte Folgen mit sich bringen. Welche, das zeigt das Stück Lebensraum , dass am 17. Oktober Wiederaufnahme im Logensaal in den Ham- burger Kammerspielen feiert. Wir sprachen mit Intendant und Regisseur Axel Schneider über die Angst vor dem Fremden und eine aufgeklärte Gesellschaft. Alster Magazin: Was hat Sie dazu bewegt, dass Stück noch einmal auf die Bühne zu bringen? Axel Schneider: Die ersten Aufführungen waren bereits sehr erfolg - reich. Uns ging es jedoch die ganze Zeit um die Sache und nicht so sehr darum, ob sich das Ganze wirtschaftlich tragen würde. Von daher spürt man auch den Geist dahinter, dieses Anliegen auch wirklich in einer künstlerisch hoch ansprechenden Form herüberzubringen. Das war sozusagen der ausschlaggebende Grund. Sie sagen, es ging Ihnen um die Sache. Im Stück kommen Neu- bürger aus verschiedenen Teilen der Welt ins Land und die an- fängliche Welle der Hilfsbereitschaft droht zu kippen. Spielen Sie damit auch auf die momentan vorherrschende gesellschaft- liche Situation in Deutschland an? Politische Motive dürfen nicht die alleinige Triebfeder für Theater sein. Deshalb geht es bei uns auch um etwas Grundsätzliches. Das Stück stellt eine Hypothese auf, die ich schlicht und ergreifend genial finde. Israel Horovitz hat Lebensraum bereits 1996 geschrieben, weshalb sein Werk geradezu visionär daherkommt. Dass man das auf die heute in Deutschland vorherrschenden Verhältnisse beziehen kann, steht für sich und ist vielleicht sogar traurig. Lebensraum behandelt ja nicht nur den Antisemitismus, sondern auch das Thema Migration und führt diese beiden Bereiche quasi zusammen. Spielt der Antisemitismus in der heutigen Debatte denn überhaupt noch eine Rolle? Gefühlt geht es generell um das Fremde. Wer von den Menschen, die jetzt beispielsweise in Chemnitz am lautesten schreien, beschäftigt sich denn inhaltlich mit dem Islam? Es geht bei den Diskussionen ja größtenteils nicht um eine wissenschaftliche Debatte, sondern in erster Linie um Vorurteile, Angst und Rebel - lion gegen das Fremde an sich. Letzten Endes handelt es sich also um dieselben niederen Instinkte, die auch schon zu Zeiten des Nationalsozialismus geschürt wurden. Woher rührt aus ihrer Sicht dieses grundlegende Problem mit dem Fremden? Es handelt sich wahrscheinlich um eine Durchmischung. Zum einen ist es die Angst, dass das, was man hat, genommen oder in Frage ge - stellt werden könnte. Zum anderen geht es sicher auch um eine Form der Machtdemonstration, die im schlimmsten Fall bis ins Physische hineingehen kann. Am Gefährlichsten ist allerdings das unterschwellige Gedankengut, was da langsam wieder hochkommt. Dagegen müssen wir mit aller Macht angehen. Israel Horovitz sagte vor gut zweieinhalb Jahren über sein eige- nes Stück, man könne auf einer deutschen Bühne keine Juden spielen, weil sich das Publikum durch die Konfrontation mit dem Holocaust möglicherweise unwohl fühle. Welche Erfah- rungen haben Sie mit dieser Thematik gemacht? Ich kenne Israel Horovitz persönlich. Bei der Erstaufführung im Januar war er sogar zu Gast. Allerdings würde ich ihm in Zusammenhang mit diesem Zitat widersprechen. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass Deutschland im Umgang mit der Aufarbeitung des Holocausts wirk - lich Großes geleistet hat. Man muss nur auf andere Theaterbühnen schauen, um zu sehen, wie offensiv und allumfänglich mit dieser Zeit umgegangen wird. Jetzt, wo die Zeitzeugen nicht mehr gefragt wer - den können, müssen wir aufpassen, dass das Ganze nicht zusehends verharmlost wird. Jonas Bormann Das Stück Lebensraum - Deutschland soll als Wiedergut- machung für den Holocaust 6 Millionen Juden aufnehmen feiert am 17.10. Wiederaufnahme im Logensaal. Weitere Termine: 17. 10. / 9.11. / 20.12. Mehr Infos sowie Tickets: Tel. 040 41 33 440 , www. kammerspiele-hamburg.de. Wenig Schauspieler mit zahlreichen Facetten: Lebensraum kommt mit lediglich drei Darstellern aus, zwei von ihnen sind Dirk Hoener und Frank Roder (r.). Bo La ho la M ar cu s R en ne r